Allgemein

Ein Verb bleibt hängen

Spricht der Russe von seinem Haus, ist in den meisten Fällen, je nach Region, von seinem „domik“ oder seinem „domtschik“ die Rede. Dabei heißt „Haus“ auf Russisch schlicht „dom“. Besonders in den russischen und slawischen Sprachräumen tritt der so genannte flektierende Sprachbau mit einem Suffix (hier: Diminutiv- (Verkleinerungs-)Suffix) häufiger auf. Auch bei Nachnamen kennt man den Suffix. In diesen Fällen spricht man aber von einer „Derivation“. Beispiel: Ist etwas „im Stil von Franz Kafka“, spricht man von „kafkaesk„, das dadurch beschriebene Handeln ist absurd, bedrohlich, beklemmend.

Dieses Ableitungsmorphem „-esk“ wurde bei einem anderen Nachnamen schlicht zu einem „-en“. Wulff wurde zu „wulffen„. Eine Derivation, die (im Gegensatz zu vielen anderen) negativ konotiert ist. Mir sind nur wenige Personen bekannt, die es bisher „geschafft“ haben, mit ihrem Nachnamen – in Verbindung mit einem Ableitungsmorphem – durch ihr Wirken ein neues Adjektiv oder – wie im bezeichnenden Fall – ein neues Verb zu schaffen. Christian Wulff, Deutschlands-19-Monate-Bundespräsident (ich schreibe hier ausdrücklich NICHT „unser“, denn ICH habe ihn nicht gewählt) hat durch sein politisches Handeln dafür gesorgt, dass in der Deutschen Sprache eine Lücke, eine Grau-Zone gefüllt wird. Denn bisher fehlte im deutschen Srachgebrauch ein Verb, das lügen, taktisches Schwindeln, die ´Wahrheit nicht sagen´, jemandem den ´Anrufbeantworter vollschimpfen´ und ´Notwendig-zu-Sagendes verschweigen´ präzise zum Ausdruck bringt.

Die Rede ist also von dem Verb „wulffen“. Das wird hängen bleiben von Christian Wulff: Ein abwertendes Verb. Verständlich, dass der Ex-Bundespräsident bei seiner Verabschiedung, dem obligatorischen Bundespräsidenten-Zapfenstreich am gestrigen Donnerstagabend (lesenswerter Artikel auf Spiegel Online), noch einmal auf seine anderen Leistungen hinweisen musste/wollte. Viele werden diese kurze Rede nicht gehört haben, denn sie wurde mit sog. „Wulffuselas“ übertönt. OK, die Dinger heißen natürlich „Vuvuzela“ aber wo wir schon bei den Wortneuschöpfungen sind… Von den lauten Tröten also, die man vielleicht noch von der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika in schlechter Erinnerung hat. Über die Sozialen Netzwerke hatten sich gestern am Schloß Bellevevue in Berlin etwa 400 Personen verabredet, um ihren Unmut kund zu tun. Ihren Unmut darüber, dass Christian Wulff für sein kurzes (politisches) Handeln knapp 200.000 Euro Ehrensold erhält. Jedes Jahr. Bis an sein Lebensende.

Wie tief kann ein Mensch sinken, von dem – nach seinem (politischen) Wirken – nur wenig mehr als ein abwertendes Verb hängen bleibt? Dessen letzte Rede von erzürnten und aufgebrachten Deutschen übertönt wird? Dessen erster Fehler bereits die Annahme der Wahl zum Bundespräsidenten war. Man könnte fast ein wenig Mitleid bekommen für einen Mann, der vielleicht einfach nur zu nett und wissentlich zu gierig war. Ich hoffe, dass diese dramatischen Auswirkungen dieser Gier anderen Verantwortungsträgern und/oder Volksvertretern eine Lehre sein wird. Ich habe schon längst ausge-„wulfft“.