Kultur

Kino-Tipp „Black Swan“

Eine moderne Deflorations-Phantasie von Darren Aronofsky

Szene Black Swan
Szene aus Black Swan (Photo: 20th Century Fox)
Mit seinem letzten Film „The Wrestler“ hat er uns einen Blick hinter die Kulissen des Wrestlings-Sports werfen lassen. Jetzt zeigt er uns die Brutalität der schönen Künste – des klassischen Balletts. Darren Aronofsky, der Intellektuelle aus New York, wie er oft in Schauspielerkreisen genannt wird, liebt es anscheinend, Dinge offen zu legen. In den meisten Fällen bilden dazu die Arronofsky´schen Grundpfeiler Leidenschaft, Versuchung und Selbstaufopferung das Korsett seiner Inszenierungen. Hier geht es ihm aber nicht um die Selbstaufopferung aus dem Imperativ des Ideals im Hauptmann´schen Sinne, sondern um eine Selbstaufopferung ohne des Sich-Selbst-Bewußtwerdens.

Die Beweise dafür hatte der Hollywood-Regisseur bereits mit seinen Kurzfilmen „Supermarket Sweep“ und „Protozoa“ in den 90ern geliefert. In beiden Filmen waren die Folgen, Auswirkungen und Abwärtsspiralen verbunden mit dem Drogenkonsum Triebfedern der selbst verfassten Drehbücher. In allen Filmen von Aronofsky jedoch sind Versuchung, Selbstaufopferung und Berührungen mit Drogen mehr oder weniger essentielle Grundzutaten seiner (mit Ausnahme von „The Wrestler“ und „Black Swan“ selbst geschriebenen) Drehbücher.

Nur was haben Drogen und Ballett gemein? Auf jeden Fall ist es eine mutige Frage, die in der Filmhistorie noch niemand gestellt hat. Und eine spannende Gegenüberstellung. Black Swan erzählt die Geschichte von Nina Sayer, herausragend verkörpert von der tanzerfahrenen Natalie Portman. Nina ist ein junges, talentiertes Mitglied des New York City Balletts unter der Leitung des französischen Choreographen Thomas Leroy (Vinzent Cassel). Sie ist das unschuldige Mädchen, ein „bunhead“, ein Duttkopf, wie man junge Mädchen verspottet, die nur Ballett im Kopf haben und das Leben außerhalb des Sports ausschalten können. Die ehrgeizige Solistin arbeitet an der Rolle ihres Lebens. Dem weißen Schwan im Schwanensee von Tschaikowsky.

Gegensätzlicher als zu der Hauptfigur seines letzten Films, dem Wrestler Randy im Meisterwerk „The Wrestler“ kann Aronofskys neue Figur, die zarte und verletzliche Nina, gar nicht sein. Doch beide haben etwas gemeinsam. Beide leben für ihren Sport, für die Inszenierung. Für ihre Leidenschaft gehen sie bis zur Selbstausbeutung des Körpers, ja bis zur Selbstaufgabe. Arronofskys Stamm-Kameramann Matthew Libatique findet für die harten Trainigseinheiten der Tänzer beeindruckende Bilder. Immer wieder fängt er die großen Belastungen der Gelenke und Füße ein, die von den Tänzerinnen und Tänzern malträtiert und geschunden werden. Und das werden nicht die einzigen Bilder sein, die beim Zuschauer und bei sicherlich viel mehr Zuschauerinnen haften bleiben werden.

Bereits nach wenigen Szenen wird deutlich, dass Darren Aronofsky die Geschichte einer Tänzerin am New Yorker Ballett nicht als Romanze, sondern als Psychothriller inszeniert. Im Hintergrund, getragen von der klassischen, romantischen, schweren Musik Tschaikowskys, bedient er sich der strengen Regeln und Benimmcodes des Ballettmilieus. Zusammen mit den Bildern aus dunklen, kalten Räumen erscheinen die Einstellungen wie aus einer anderen Zeit, elitär und zerstörerisch, weit weg von den Klischees anderer Tanzfilme wie „Center Stage“, „Billy Elliott“, „Street Dance“ und Co. Denn hier fordert das permanente Streben nach Perfektion Opfer.


Nina, deren Leben von einer strengen (und eifersüchtigen) Mutter, herausragend verkörpert von Barbara Hershey, organisiert und kontrolliert wird, erhält die Chance, die Doppel-Hauptrolle im Schwanensee zu tanzen. Eifersucht, Neid und Missgunst säumen fortan ihren Weg. Ein Weg, der neben dem harten Training damit noch steiniger wird. Auch Choreograph Thomas ist nach den ersten Proben skeptisch. Mit ihrer Darbietung des weißen Schwans habe er keine Probleme, nur traue er ihr die Rolle des schwarzen Schwans nur unter einer Bedingung zu: Sie soll mehr Leidenschaft vermitteln – mit all ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Damit nimmt das Drama des Scheiterns, verpackt in einer rosa Welt, in der Anmut und Grazie den schönen Schein bilden sollten, ihren Lauf.

Das fast klinisch reine Milieu bietet dem Regisseur, mehr noch als das Mileu des Wrestling-Sports in seinem Vorgänger „The Wrestler“, den perfekten Rahmen und die perfekte Fallhöhe, um eine verstörende, hoch emotionale Geschichte zu erzählen. Versuchung, Leidenschaft und Selbstaufopferung sind auch hier wichtige Bestandteile der Inszenierung. Doch hier geht es auch um die Entwicklung eines Mädchens zur Frau. Man könnte es auch eine moderne Deflorations-Phantasie nennen. Neben den beeindruckenden Bildern des Kameramanns Matthew Libatique überzeugt der Film vor allem durch seine beeindruckende Hauptdarstellerin. Ein Jahr hat Natalie Portman Ballettunterricht genommen, um sich auf die Rolle der Nina vorzubereiten. „Dieser Film ist wahrscheinlich das Härteste, an dem ich je gearbeitet habe“, ist über sie im Presseheft zu lesen. Und weiter heißt es „Nina beginnt, sich zu verändern, als sie ihre Sinnlichkeit und Freiheit sucht. Gleichzeitig geht sie daran kaputt.“ Tanz, Ehrgeiz und Selbstaufopferung als Droge, die high macht und gleichzeitig alles ruiniert. „Black Swan“ ist ein weiteres, beeindruckendes Meisterwerk von Darren Aronofsky.