Weil – und wie – er jeden Tag als Arzt den Hass zwischen Israelis und Palästinensern erlebte
, das schrieb er in seiner Autobiographie „Ich werde dich nicht hassen“ auf, die 2011 bei Bastei Lübbe erschien (Amazon Affiliate Link).
Das in 23 Sprachen übersetzte Buch wurde 2014 von Silvia Armbruster und Ernst Konarek als Monologfassung für die Theater-Bühne umgesetzt. Das gleichnamige Stück ist seitdem an zahlreichen (Bonn, Hamburg, Stuttgart) Bühnen zu sehen. Seit April 2018 auch am Wolfgang-Borchert-Theater in Münster in einer Inszenierung von Tanja Weidner.
Das Bühnenbild (von Stefanie Kniesbeck) kommt mit wenigen Mitteln aus. Mittig auf der Bühne ist ein breites Baumwoll-Tuch gespannt, davor aufgeschütteter Sand mit einer kleinen, nachgeformten Wohnsiedlung, am Bühnen-Seitenrand stehen drei Leinwände. Auf letztere werden in den nächsten knapp 80 Minuten Videobilder projiziert, zuerst ein Standbild von der kleinen Wohnsiedlung aus Sand, später auch Wellen-Impressionen und Portraitfotos. Der Haupt- und in diesem Falle einzige Darsteller Jürgen Lorenzen, der mit seinen schwarz-gefärbten Haaren äußerlich zunächst nur wenig arabisch wirkt, sitzt zu Beginn auf der Bühne im Sand und formt an der nachgebildeten Siedlung.
Mit den nächsten Stationen, dem längeren Aufenthalt in einer jüdischen Familie beispielsweise, wird die Stimme kräftiger. Mal komisch erzählt Lorenzen als Izzeldin von den fremden Eindrücken, von seinem Studium, den Mädchen, dann mal bitter über die Schikanen, denen er sich immer wieder ausgesetzt sieht. Darauffolgend, als praktizierender Arzt in einem Krankenhaus, mittlerweile in einem weißen Hemd, wird die Stimme ernster. Die traurigen Vorfälle häufen sich, Wut, Empörung und Trauer changieren im Wechsel zu den immer wieder stillen, dankbaren Momenten, wenn er sich (viel zu selten) im Kreis seiner Familie und vor allem im Kreis seiner schönen und klugen Töchter befindet – Übertreibungen oder gar Kitsch sind mit jeglichem Verve, den Lorenzen in seine Rolle wirft, immer noch ganz weit entfernt.
Man ist gefesselt, erstaunt und berührt, wie scheinbar mühelos der Darsteller die volle Bandbreite menschlicher Emotionen von Liebe, Zuneigung, Wut, Hass, Empörung und Mutlosigkeit auf der Bühne präsentiert. Da fällt es fast schwer, den Blick auf die behutsam eingestreuten Video- und Fotoprojektionen zu richten, die Tanja Weidner der Erzählung des Lebenswegs eines Mannes zur Unterstreichung zur Seite stellt. Und das ist positiv gemeint. In dieser packenden Tour de Force sind es jedoch niemals die Bilder, die durch Text unterstützt werden (müssen) sondern ein Text, der durch wenige Bilder unterstützt wird. Mit den behutsam eingestreuten Bewegtbildern verzeiht man Weidner sogar die mutmachenden Oneliner der Ehefrau, die an wenigen Stellen von einer weiblichen Stimme aus dem Off eingesprochen werden.
Theaterfans wissen: Ob Kafka, Süskind, John Clancy oder Joshua Sobol, Monodramen oder Monologe, Solostücke oder Solo-Performances gelingen nur, wenn der/die Schauspieler*in bereit ist, alles zu geben. Und Jürgen Lorenzen ist bereit dazu. Jedes Mal aufs Neue. Vom T-Shirt bis zum weißen Hemd, von der jugendlichen Schwärmerei bis zum lauten Wut-Schrei. Seit April 2018 gefühlt mindestens ein Mal im Monat. Und das bedingungslos, bis zur Selbstaufgabe, einschließlich einiger Tränen am Schluss. Es ist sicherlich SEIN Stück. Ein Glanzstück unter den zahlreichen Stücken, an denen der Borchert-Schauspieler bereits mitgewirkt hat.
Mit all seiner Lebenserfahrung bringt Lorenzen die Geschichte des palästinensischen Arztes und Familienvaters so mitfühlend und authentisch auf die karge Bühne des WBT, ohne Klage, ohne Parteinahme, dass man am Ende tief berührt und geschüttelt das Haus verlässt. Lorenzens Aufforderung, dass wir mehr Gespräche brauchen, kommt an. Ein Stuhl, eine Bereitschaft, eine Aufforderung, Licht an, mehr braucht es nicht, um einen Konflikt fühlbar zu machen. Eine meisterhafte Leistung, von Lorenzen und allen Verantwortlichen. Eine Leistung, eine Performance, die jeden Cent der Karte wert ist und die man nicht verpassen sollte. Weitere Vorstellungen (u.a. im Juni) siehe auf dem Spielplan des WBT in Münster.