Manchmal gibt es Filme, deren Ausgänge so klar sind, dass lediglich der Weg zum vermeintlichen Happy End Interesse wecken. Und sind die zwischenzeitlichen Überraschungen ausgeblieben, geht der Zuschauende enttäuscht nach Hause. Als geniere man sich dafür, etwas Überraschendes eingefordert zu haben. Als habe man – was im Genre der RomCom kaum möglich ist – sich auf eine neue Fährte locken lassen wollen. Eine Fährte, die so angenehm und wohltuend zu beschreiten ist wie ein Spaziergang entlang eines feinsandigen Küstenstreifens – der zwischendurch aber mit einem wertvollen Fundstück oder zumindest mit einer unerwarteten Begegnung aufwartet. Celine Songs Spielfilmdebüt „Past Lives“ war bzw. ist so ein Film. Ein Spaziergang, so angenehm, so feinfühlig, so wahrhaftig und so präzise, vor allem aber so überraschungsvoll, dass ihre Geschichte um ein Aufeinandertreffen mit einer alten Jugendliebe bis heute einen festen Platz findet in der Reihe der besten „romantic comedies“ des noch jungen 21. Jahrhunderts.
Besonders hoch waren deshalb die Erwartungen an den Nachfolger von „Past Lives“, an „Materialists“. Eine RomCom mit noch bekannteren Darsteller*innen, mit einem wesentlich höheren Budget als ihr Erstlingswerk, bewundernswerten Schauplätzen, mehr Produzenten, Maskenbildnern und was sonst noch alles zu einer modernen Hollywood-RomCom gehört. Aber im Kino ist es da wie im Leben: Weniger ist manchmal mehr. Und der zweite Erfolg nach dem ersten ist immer der schwerste.
Zur Ausgangssituation: Lucy, Anfang 30, ist erfolgreiche Partnervermittlerin in einer New Yorker Agentur. Als ehemalige Schauspielerin kennt sie sich mit der Kunst der Verführung aus, sieht aber das Geschäft mit der Liebe „als ein Business“. Was suchst Du? Was bringst Du mit? Ihren weiblichen Klientinnen schickt sie ein Versprechen vorweg: Du kannst alles haben. Und zwar sofort. Auf einer Hochzeit (nach einer erfolgreichen Vermittlung) gibt sie einigen herumstehenden New-Yorker-Singlefrauen den Rat mit auf den Weg: „Die Wahl des richtigen Partners kann ein Leben verändern. Zum Guten aber auch zum Schlechten. Also überlassen Sie diese Entscheidung keinem Portal oder einer App – sondern Profis.“
Liebe als wertsteigernde Transaktion
Lucys erfolgreiche Kundenakquise kommt auf der Hochzeit auch dem Bruder des Bräutigams, Harry Castillo, zu Ohren. Als erfolgreicher Vermögensverwalter ist er fasziniert – sowohl von der Kund*innenansprache als auch von Lucy selbst. Nachvollziehbar, denn Dakota Johnson ist eine tolle Besetzung für die Rolle der Lucy. Ähnlich wie in ihrer Rolle der Anastasia Steele in der „Fifty Shades of Grey„-Trilogie verströmt sie einen unbedarften, aufstrebenden Glamour, lässt aber gleichzeitig alles mühelos aussehen, so als würde man einer gut aussehenden Mode-Influencerin zusehen, die im echten Leben den ganzen Tag herumläuft: „Oh, das? Das habe ich einfach ganz hinten in meinem Schrank gefunden und in letzter Minute übergeworfen.“
Anders als ihr Erstling „Past Lives“ ist „Materialists“ aber weitaus oberflächlicher. Und bei all der Poesie, die er bemüht, doch von geradezu mathematischer Kalkuliertheit. Romantische Gedichte – auch filmische – sind jedoch alles andere als Gleichungen, bei denen sich jede Unbekannte berechnen lässt. So sei der charmante Harry, den Lucy auf der Hochzeit trifft, ein „Unicorn“, ein „Einhorn“, wie sie mehrere Male betont. Eine absolute Ausnahmeerscheinung auf dem New-Yorker-Single-Markt: reich, sportlich, gebildet, empathisch. „Du könntest eine viel Jüngere haben„, so die Partnervermittlerin weiter. Doch es dauert in dieser vorhersehbaren, ja berechenbaren RomCom nicht lang, bis Lucy dem Werben des schwerreichen Junggesellen erliegt und nur wenig später den Schlüssel für sein „12-Millionen-Dollar-Apartment“ erhält. Das sie bei der ersten Begehung fast kindlich mit großen Augen mustert.
Eine ungleiche Menage a troi
Der schwerreiche End-Vierziger und die ehrgeizige Partnervermittlerin aus armen Verhältnissen also, einander in ungleicher Bewunderung zugetan und durch eine sonderbare Kälte getrennt. Mit erwartbaren Einstellungen (telefonierender Geschäftsmann trifft morgens auf müde Lucy im T-Shirt) verdeutlicht Celine Song, dass die Verbindung so luftig und fragil ist wie es nur ein romantisches Märchen wie „Fifty Shades of Grey“ behaupten konnte. Und natürlich gibt es – ganz Hollywood-Blockbuster-Formel-like – die dritte Person, die alles ein bisschen schwerer macht: In diesem Fall ist es Lucys Ex-Freund John, etwas holprig und hemdsärmlig verkörpert von Chris Evans. Angeblich, so behauptet es das Presseheft, sollen persönliche, autobiographische Erlebnisse der ehemaligen Partnervermittlerin Celine Song in die Geschichte mit eingeflossen sein. Und man wünscht ihren realitätsnahen Dialogen und Begegnungen eine ähnliche zwischenmenschliche Wahrhaftigkeit, wie Dakota Johnson und Chris Evans sie inszenieren. Die Chemie ist perfekt.
Ohne zu viel vorweg zu nehmen, dürfte klar sein, dass die Hauptdarstellerin am Ende lernt, dass ein die wahre Liebe versprechender Ex-Partner mehr wert ist, als der materielle Wohlstand, den der wesentlich ältere Harry verspricht. Vor allem im letzten Kapitel, als ein Burn-Out, vielleicht auch eine leichte Depression die Hauptdarstellerin ereilt. Wahre Freunde bleiben halt auch in schwierigen Situationen. Warum sie mit der Erkenntnis allzu plötzlich ihre zuvor gelebten Werte über Bord wirft, das Finanzielle zweitrangig wird, und sie sich nur noch an ihren Gefühlen orientiert, bleibt ebenso offen wie die Erkenntnis, dass Idealismus schon einmal ein Beziehungskiller in ihrem Leben war.
Die vorhersehbare Menage a troi wird, wie es in der RomCom heutzutage Mode ist, mit finanzieller Erwartungshaltung und persönlichem Schicksal zu einer Geschichte um Schicksal und später Einsicht verknüpft, in der alles möglich, aber nichts notwendig ist. So ringen vor allem hier Erwartungshaltung und Stochastik um die Vorherrschaft im Geschichtenerzählen – wie auch beispielsweise in „Ein ganzes halbes Jahr“ oder „Schlaflos in Seattle„. Und so ist das Problem dieses Films, dass jede Einstellung zu rufen scheint, man müsse die persönliche „Plus-und-Minus“-Liste zu Hause an die Wand hängen. Und jedes Gefühl zu betteln scheint, hier: Ich kann mich nicht entscheiden. Hilfe! Wie würdest Du reagieren? Nein, der Film überrascht genau so wenig wie er Konflikte ausarbeitet. Als würde ein wohlhabender Magier ein Hütchenspiel vorführen und den Ausgang seiner Tricks als „große Überraschung“ feiern bzw. verkaufen. Nein, Celine Song, diesmal sind wir nicht verzaubert. Schade.
Weitere Filmkritiken von mir:
-> Filmkritik zu „Touch“ von Baltasar Kormákur – Link zum Text
-> Filmkritik zu „Golden Twenties“ von Sophie Kluge – Link zum Text
-> Filmkritik zu „So wie Du mich willst“ von Safy Nebbou – Link zum Text