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Warum das Ticket für „Ich werde nicht hassen“ von Izzeldin Abuelaish am WBT in Münster jeden Cent wert ist

Schlussbild des Theaterstückes "Ich werde nicht hassen" von Izzeldin Abuelaish in einer Inszenierung am Wolfgang-Borchert-Theater in Münster.

2010, 2011 und 2013 war der Gynäkologe Dr. Izzeldin Abuelaish für den Friedensnobelpreis nominiert. Seit vielen Jahren setzt sich der Palästinenser für die Aussöhnung von Israelis und Palästinensern ein. Abuelaish wurde in einem Flüchtlingslager im Gazastreifen geboren. Es gelang ihm, mit einem Stipendium Medizin zu studieren. Als erster palästinensischer Arzt arbeitete er in einem israelischen Krankenhaus. Während des Gazakrieges 2009 töteten israelische Bomben drei seiner Töchter. Sein Hilferuf während des Angriffes wurde von einem befreundeten Fernsehjournalisten mitgeschnitten und ging um die Welt (Al Jazeera Bericht). Zuvor hatte er seine Frau an Krebs verloren. Auch sein Bruder wurde im Gazakrieg getötet.

Weil – und wie – er jeden Tag als Arzt den Hass zwischen Israelis und Palästinensern erlebte, das schrieb er in seiner Autobiographie „Ich werde dich nicht hassen“ auf, die 2011 bei Bastei Lübbe erschien (Amazon Affiliate Link).
Das in 23 Sprachen übersetzte Buch wurde 2014 von Silvia Armbruster und Ernst Konarek als Monologfassung für die Theater-Bühne umgesetzt. Das gleichnamige Stück ist seitdem an zahlreichen (Bonn, Hamburg, Stuttgart) Bühnen zu sehen. Seit April 2018 auch am Wolfgang-Borchert-Theater in Münster in einer Inszenierung von Tanja Weidner.

Karges Bühnenbild, starke Performance

Das Bühnenbild (von Stefanie Kniesbeck) kommt mit wenigen Mitteln aus. Mittig auf der Bühne ist ein breites Baumwoll-Tuch gespannt, davor aufgeschütteter Sand mit einer kleinen, nachgeformten Wohnsiedlung, am Bühnen-Seitenrand stehen drei Leinwände. Auf letztere werden in den nächsten knapp 80 Minuten Videobilder projiziert, zuerst ein Standbild von der kleinen Wohnsiedlung aus Sand, später auch Wellen-Impressionen und Portraitfotos. Der Haupt- und in diesem Falle einzige Darsteller Jürgen Lorenzen, der mit seinen schwarz-gefärbten Haaren äußerlich zunächst nur wenig arabisch wirkt, sitzt zu Beginn auf der Bühne im Sand und formt an der nachgebildeten Siedlung.

Ich war gerade 7 Jahre alt, da schickte mich meine Mutter früh morgens zum Arbeiten. Vor der Schule.“ Mit diesen Worten skizziert Jürgen Lorenzen, das langjährige Mitglied (das längste Mitglied?) im Ensemble des Borchert-Theaters zu Beginn einer der wichtigsten Stationen im Leben des palästinensischen Arztes Dr. Izzeldin Abuelaish. Anfänglich sind Lorenzens Worte noch dünn, fast zaghaft. Wenn er im weißen T-Shirt die ersten, wichtigen Momente im Leben Izzeldin Abuelaishs nacherzählt. Warmherzig klingen seine Schilderung über seine Kindheit im Gaza-Streifen, seine Missgeschicke, wie wichtig die Mutter in seinem Leben ist und wie wichtig sein Bruder.

Wut, Empörung und Trauer changieren im Wechsel

Mit den nächsten Stationen, dem längeren Aufenthalt in einer jüdischen Familie beispielsweise, wird die Stimme kräftiger. Mal komisch erzählt Lorenzen als Izzeldin von den fremden Eindrücken, von seinem Studium, den Mädchen, dann mal bitter über die Schikanen, denen er sich immer wieder ausgesetzt sieht. Darauffolgend, als praktizierender Arzt in einem Krankenhaus, mittlerweile in einem weißen Hemd, wird die Stimme ernster. Die traurigen Vorfälle häufen sich, Wut, Empörung und Trauer changieren im Wechsel zu den immer wieder stillen, dankbaren Momenten, wenn er sich (viel zu selten) im Kreis seiner Familie und vor allem im Kreis seiner schönen und klugen Töchter befindet – Übertreibungen oder gar Kitsch sind mit jeglichem Verve, den Lorenzen in seine Rolle wirft, immer noch ganz weit entfernt.

Man ist gefesselt, erstaunt und berührt, wie scheinbar mühelos der Darsteller die volle Bandbreite menschlicher Emotionen von Liebe, Zuneigung, Wut, Hass, Empörung und Mutlosigkeit auf der Bühne präsentiert. Da fällt es fast schwer, den Blick auf die behutsam eingestreuten Video- und Fotoprojektionen zu richten, die Tanja Weidner der Erzählung des Lebenswegs eines Mannes zur Unterstreichung zur Seite stellt. Und das ist positiv gemeint. In dieser packenden Tour de Force sind es jedoch niemals die Bilder, die durch Text unterstützt werden (müssen) sondern ein Text, der durch wenige Bilder unterstützt wird. Mit den behutsam eingestreuten Bewegtbildern verzeiht man Weidner sogar die mutmachenden Oneliner der Ehefrau, die an wenigen Stellen von einer weiblichen Stimme aus dem Off eingesprochen werden.

Eine grandiose Tour-de-Force von Jürgen Lorenzen

Theaterfans wissen: Ob Kafka, Süskind, John Clancy oder Joshua Sobol, Monodramen oder Monologe, Solostücke oder Solo-Performances gelingen nur, wenn der/die Schauspieler*in bereit ist, alles zu geben. Und Jürgen Lorenzen ist bereit dazu. Jedes Mal aufs Neue. Vom T-Shirt bis zum weißen Hemd, von der jugendlichen Schwärmerei bis zum lauten Wut-Schrei. Seit April 2018 gefühlt mindestens ein Mal im Monat. Und das bedingungslos, bis zur Selbstaufgabe, einschließlich einiger Tränen am Schluss. Es ist sicherlich SEIN Stück. Ein Glanzstück unter den zahlreichen Stücken, an denen der Borchert-Schauspieler bereits mitgewirkt hat.

Mit all seiner Lebenserfahrung bringt Lorenzen die Geschichte des palästinensischen Arztes und Familienvaters so mitfühlend und authentisch auf die karge Bühne des WBT, ohne Klage, ohne Parteinahme, dass man am Ende tief berührt und geschüttelt das Haus verlässt. Lorenzens Aufforderung, dass wir mehr Gespräche brauchen, kommt an. Ein Stuhl, eine Bereitschaft, eine Aufforderung, Licht an, mehr braucht es nicht, um einen Konflikt fühlbar zu machen. Eine meisterhafte Leistung, von Lorenzen und allen Verantwortlichen. Eine Leistung, eine Performance, die jeden Cent der Karte wert ist und die man nicht verpassen sollte. Weitere Vorstellungen (u.a. im Juni) siehe auf dem Spielplan des WBT in Münster.